Das Schorren
Ich hab ein Schätzlein ausgegraben,
Ein Kleinod, das nicht viele haben.
Es stammt aus – du errätst es nie –
Dem Buch der Etymologie!
Denn tatsächlich müssen Verben,
Adjektive, Nomen sterben.
Was bleibt von ihnen, kannst du lesen
In jenem Buch, wo ich gewesen.
Ein Wörtchen, klein und doch perfekt,
Habe ich also entdeckt,
Ein Präfix stammt aus ihm zu „Stein“
Und könnte seltener nicht sein,
Denn nur in einem einzgen Wort
Der deutschen Sprache lebt es fort.
Und doch versteht dies Verb so keiner,
Weswegen ich jetzt gleich ob seiner
Merkwürdigkeit mal präzisiere
Worin ich mich so lang verliere:
Altertümlich und verworren
Ist der Weg des Verbes SCHORREN.
Gleichwohl erhebt sich’s aus der Masse –
Getreu dem Wortsinn. Der ist klasse,
Steht für hohes Überragen,
Für wagemutig Überkragen,
Für noch ein Stockwerk, noch mehr Länge,
Wettkampf nach oben aus der Enge,
Für Blüte, wo die Reste dorren,
Für Schwanzvergleich, kurzum: für SCHORREN!
Nun denk nicht nach und sei verdutzt. Es
Ist so fein, das Wort. Benutz es!
Sag, wenn dich die Mücke sticht:
„Die Beule SCHORRT mir im Gesicht!“
Und sprich an malerischem Ort:
„Wie wunderschön der Kirchturm SCHORRT!“
Oder, wenn des Liebsten Glied
Wieder einmal schlaff aussieht,
Seufze nicht „Du lieber Himmel“,
Kommandiere: „SCHORRE, Pimmel!“
Gewiss findest du tausend Arten,
das SCHORREN wieder durchzustarten.
Wer weiß, vielleicht gelingt’s, dies Wort
So zu beleben, dass es SCHORRT,
Damit nicht die, die den -stein fegen,
allein dies hübsche Wörtlein pflegen.